Beim Tragen den Rücken rund oder gerade halten - das ist hier die Frage!

Wenn es ums Heben oder Tragen geht, so haben doch die meisten die Worte respektive das Bild im Kopf:

Du musst mit geradem Rücken aus der Hocke hochheben. Nur so schützt Du Deine Wirbelsäule und beugst Rückenbeschwerden vor.

Aber ist das wirklich so? Ist unsere Wirbelsäule wirklich eine (starre) Säule, die normalen Alltagsbelastungen nicht standhalten kann?

Eine Sache mal vorweg:

Die Rückenschule, wie sie in den 80er und 90ern propagiert wurde, ist längst veraltet und entspricht kaum mehr dem heutigen Verständnis von funktionellem Training - allein schon durch die Erkenntnisse der Faszienforschung in den vergangenen 10 Jahren.
Zwar basiert die gängige Meinung, den Rücken gerade zu halten, auf Studien, die strukturelle Schäden durch wiederholtes Beugen der Lendenwirbelsäule aufzeigen, doch wurden diese Studien an totem Gewebe durchgeführt und toten Organismen fehlt jegliche Fähigkeit zur Adaption, doch dazu später mehr.

Ein weiterer, interessanter Gegenbeweis: Professionelle Gewichtheber, die etliche tausend Male pro Jahr bei Deadlifts mit extrem hohen Gewichten ihre Wirbelsäule enormen Kompressions- sowie Scherkräften aussetzen, erleiden trotzdem selten schwere Rückenverletzungen - von einzelnen Ausnahmefällen abgesehen. Wie kann das sein?

Was passiert, wenn man schwere Sachen trägt?

Die Lösung liegt im Wort - Schlange statt Säule

Wie gerade erwähnt, wirken beim Anheben von Gewichten erhebliche Kompressions- und Scherkräfte auf den Rücken. Doch wie können wir diese Kräfte nun reduzieren respektive unsere Wirbelsäule schützen?

Die noch immer populäre Empfehlung, mit einem geraden Rücken zu heben, scheint plausibel. Durch den geraden Rücken scheinen die Kräfte besser auf den Körper verteilt und die gebeugte Wirbelsäule nicht zu sehr belastet zu werden.

Jedoch ist der menschliche Körper kein mechanisch konstruiertes Objekt, welches sich nur auf eine simple Bewegungsstruktur reduzieren lässt, sondern äußerst anpassungsfähig. Unsere Wirbelsäule ist von Natur aus doppelt S-förmig und so konzipiert, dass sie sich sowohl beugen und neigen, als auch rotieren kann. Der Begriff „Wirbelschlange" wäre hier also sehr viel passender.

Diese doppelte S-Schwingung ermöglicht uns komplexe Bewegungsabläufe und bietet eben in den einzelnen lordotischen (nach vorne gebeugte Krümmung der Wirbelsäule) bzw. kyphotischen (nach hinten gebeugte Krümmung der Wirbelsäule) Abschnitten eine unterschiedliche Kompensationsfähigkeit von Scherkräften. Durch eine gerade Rückenhaltung wird diese eliminiert.

So wie es Studien gibt, die zeigen, dass eine gerade Rückenhaltung keinen Bandscheibenvorfall vorbeugen kann, so gibt es bislang auch keine Studie, die nachweisen konnte, dass das Heben mit gebeugtem Rücken das Verletzungsrisiko erhöht.

Die Fähigkeit der Wirbelsäule, Scherkräften zu widerstehen, hängt zum großen Teil auch mit der Knochendichte zusammen. Ein Krafttraining mit einer stetigen Belastungssteigerung kann nachgewiesenermaßen diese Knochendichte erhöhen, da der Körper bei regelmäßiger Belastung Knochen, Bänder, Sehnen, Muskeln, Faszien und Bandscheiben entsprechend anpasst. Somit hätte das Training sogar einen positiven Effekt auf die Verletzungsprophylaxe von Rückenschmerzen.

Entscheidender wäre doch also die Frage, wie geübt man ist, schwere Lasten zu heben und nicht zwingend, wie die Körperhaltung dabei ist.

Aber gehen wir mal weg von schweren Lasten und dem Profisport und konzentrieren uns auf unseren Alltag und die Gewichte, die wir im selbigen zu stemmen haben (Maxi-Cosi, Baby, Kleinkind, Getränkekisten, Wäschekorb, Ware, etc.).

Die Regeln für das richtige Heben und Tragen

Wie hebt und trägt man im Alltag also richtig?

Wenn wir nun also von einer natürlichen Beweglichkeit und Belastbarkeit des Rückens ausgehen, sollten wir uns nicht in eine unnatürliche Haltung zwängen müssen.

Die meisten Rückenprobleme und -schmerzen resultieren nicht aus einer falschen Haltung des Rückens beim Tragen schwerer Lasten, sondern aus der Diskrepanz zwischen der Last und der Belastbarkeit unseres Rückens.

Mit sitzenden Tätigkeiten im Job und zugleich mangelnder Bewegung respektive Sport in der Freizeit, beanspruchen wir unseren Bewegungsapparat im Alltag unzureichend.

Unsere Muskulatur wird immer bewegungseingeschränkter, das fasziale Gewebe drumherum verklebt bzw. verfilzt und ist weder elastisch, noch geschmeidig.

Werden wir dann mit einer schweren Last konfrontiert, streikt unser Körper einfach und sendet Schmerzen als Warnsignal. Die Diskrepanz zwischen Last und Belastbarkeit ist für unseren Körper zu groß.

Grundsätzlich weiß unser Körper nicht, was die richtige oder eben falsche Bewegungsausführung ist. Er registriert lediglich eine Belastung bzw. einen Stressor.

Wird er regelmäßig mit selbiger/m konfrontiert, passt er sich i. d. R. dieser/m nach der Regenerationsphase auch an. Erst wenn Belastung bzw. Stressor zu groß ist und die aktuelle Belastbarkeit übersteigt, kommt es zu Verletzungen der Strukturen und somit zu Schmerzen.

Das beste Hilfsmittel, um schwere Lasten heben und tragen zu können

Um schwere Lasten wieder heben und tragen zu können, müssen wir (wieder) lernen, mit komplexen Bewegungsabläufen und einer gleichzeitigen Belastung im Rückenbereich klarzukommen. Wir müssen unsere Rumpfmuskulatur - also Rücken UND Bauch - nicht nur stärken, sondern vor allen Dingen auch mobilisieren. Die Knochendichte zu erhöhen, unsere faszialen Strukturen elastisch und geschmeidig zu bekommen und die Wirbelsäule mobil und flexibel zu halten - das sollte das Ziel sein! Denn Mobilität und Flexibilität in unserem Körper sind die besten Hilfsmittel, um Lasten zu tragen und Rückenschmerzen zu vermeiden.

Bis wir dieses Ziel erreichen, schützen wir unsere Wirbelsäule, indem wir die Rumpfmuskulatur, also unsere Körpermitte, beim Hochheben und Tragen aktivieren, d. h. aktiv und bewusst anspannen - dann ist es auch zweitrangig, ob wir dies mit gestreckter oder gebeugter Wirbelsäule und Beinen tun.

Die Körpermitte (auch gerne „Core" genannt) setzt sich zusammen aus Bauch- Rücken- und auch Beckenbodenmuskulatur. Die einfachste Art, diese anzuspannen, ist die Vorstellung, die beiden unteren Körperöffnungen zu schließen, innerlich alles „nach oben zu ziehen" (“ein Tampon hochzuziehen") und den Bauchnabel dabei ebenfalls nach innen (Richtung Wirbelsäule) und oben zu ziehen.

Hält man dann auch noch das Gewicht (Maxi-Cosi, Wasserkiste, etc.) nah am Körper, verkürzt man den Hebel, hat es noch leichter und entlastet den Rücken in der Bewegung nach oben.

Diese Regel gilt jedoch nicht, wenn eine akute Verletzung im Rücken vorliegt. Dann sollte das Beugen zunächst reduziert werden, sofern es Schmerzen verursacht!

Fazit: Vermeide Rückenschmerzen beim Tragen durch einen starken Rumpf

Unser Körper arbeitet nach dem Prinzip “Use it, or lose it”.

Demnach sollte unsere Wirbelsäule - und nebenbei erwähnt ALL UNSERE Gelenke - sowie eben auch alle Muskeln in ihrem vollen Bewegungsumfang (Full Range of Motion) genutzt werden.

Empfehlungen oder Anweisungen, unseren Rücken im Alltag permanent und insbesondere beim Bücken zum Tragen oder Heben schwerer Lasten gerade zu halten, sind kontraproduktiv und dahingehend wenig sinnvoll, als dass sie Ängste erzeugen. Diese Ängste führen meist zu einem Vermeidungsverhalten. Die Wirbelsäule wird nicht mehr in ihrer vollen Beweglichkeit genutzt, was die Belastbarkeit der Strukturen deutlich minimiert.

Die meisten Rückenschmerzen nach Belastung resultieren aus einer Diskrepanz zwischen eben dieser Belastung und der Belastbarkeit unseres Rückens, nicht durch eine falsche Haltung beim Heben.

Wir sollten unserem Rücken und generell unserem Körper wieder mehr vertrauen und nicht ständig in eine Schutzhaltung gehen. Unser Körper ist ein Wunderwerk, das sich auch sehr gut selbst zu helfen und zu heilen weiß. Wir müssen ihn mit all seinen Fähigkeiten nur auch (wieder) nutzen!

Wenn Du wissen willst, welcher STUDIO8-Kurs in Nagold für Dich passend ist, um Deine Körpermitte zu stärken, Deine Wirbelsäule wieder zu mobilisieren und insgesamt wieder beweglich, kräftig und zugleich geschmeidig zu werden, schreibe mir gern!

Quelle: Webphysio, PS-Education